Diakonie Mark-Ruhr
Diakonie

Einschränkungen treffen Menschen mit Behinderung und psychischen Erkrankungen besonders hart


Iserlohn/ Menden. Rund 650 Menschen mit psychischer Erkrankung und/ oder Behinderung und Lernschwierigkeiten werden im Alltag – nicht nur in Iserlohn, Menden und Umgebung – durch die Diakonie Mark-Ruhr Teil-habe und Wohnen begleitet. „Das Corona Virus geht nicht an ihnen vor-bei. Nicht nur gesundheitlich, sie gehören häufig zu den Risikogruppen“, berichtet Fachbereichsleiterin Beate Jarzombek.

Sie leben in verschiedensten Wohnformen. Allein, in der eigenen Woh-nung, in Haus- und Wohngemeinschaften oder auch zu zweit als Paar und bei höherem Hilfebedarf in intensiv betreuten Wohngruppen. Die Maßnahmen der vergangenen Wochen treffen sie in besonderer Art und Weise. Und auch die betreuenden Mitarbeiter der Diakonie Mark-Ruhr gehen in diesen Tagen neue Wege.

Gehen ist in der Tat ein gutes Stichwort: „Unsere Kollegen brauchen bald alle neue Schuhe“, scherzt Bereichsleiterin Getrud Kelch. „Wir gehen mit unseren Klienten in diesen Tagen viel spazieren. Da dies immer in der Einzelbetreuung stattfindet, sind unsere Kolleginnen und Kollegen in die-sen Tagen gut mal fünf Stunden am Stück an der frischen Luft.“ Viel mehr Freizeitmöglichkeiten bieten sich gegenwärtig nicht.“ Dabei seien die Einschränkungen für einige Klienten nur schwer zu verstehen. „Einige nehmen es persönlich, wenn unsere Mitarbeitenden auf Distanz gehen oder nicht mehr mit ihnen gemeinsam einkaufen gehen. “ Das unsichtba-re Virus ist Menschen mit Lernschwierigkeiten besonders schwer zu er-klären.“ Vielen Menschen mit Behinderungen und psychisch Erkrankun-gen sind geregelte und vor allem gewohnte Tagesstrukturen wichtig. „Wir versuchen so viel wie möglich an Tagesstruktur zu vermitteln, wo es für die Menschen wichtig ist.“ Zudem sind wir sehr dankbar, dass Mitarbeiter aus offenen Angeboten unsere Einrichtung, die aufgrund der Pandemie schließen mussten und auch Mitarbeiter der Iserlohner Werkstätten in der Tagesbetreuung in den stationären Angeboten unterstützen. Normalerweise sind die Iserlohner Werkstätten für viele der Klienten acht Stunden am Tag nicht nur Arbeitsstätte, sondern auch Raum der Begeg-nung. Diese Stunden der Struktur fehlen.

Die Diakonie Mark-Ruhr Teilhabe und Wohnen bieten zudem für psy-chisch erkrankte Menschen in Iserlohn und Menden die Tagesstätte Tagwerk und die offene Begegnungsstätte, das Kontaktcafé, in Iserlohn, an. „Hier bieten wir niedrigschwellig Tagesstruktur und den Raum zum Austausch an“, sagt ABW-Bereichsleiterin Martina Große. „Dieser Verlust ist in diesen Zeiten besonders schmerzlich. In vielen Fällen sind die Mitar-beitenden des Ambulant Betreuten Wohnens (ABW) die einzigen Bezugs-personen“, beschreibt Martina Große die Situation. Hier stellen die Mitar-beitenden auch die dringend benötigte Grundversorgung der Klienten si-cher. „Wir kaufen ein und achten beispielsweise auch darauf, dass Medi-kamente weiter verordnet werden. Dies ist nicht nur im somatischen Be-reich wichtig, sondern auch im psychischen. Die Zusammenarbeit mit den niedergelassenen psychiatrischen Ärzten ist in dieser Zeit noch inten-siver als üblich, da alle Klienten unter extremer Unsicherheit und Anspan-nung leiden. Häufig sind die mühsam aufgebauten kleinen Erfolge der Teilnahme am Leben wieder zu Nichte gemacht.“

Das Ziel unserer Arbeit in der Eingliederungshilfe ist, Selbstständigkeit zu erhalten und fördern und zu schauen, dass unsere Klienten in allen Le-bensbereichen zurechtkommen. Momentan geht es vorrangig um Si-cherheit und Gesundheitsschutz.“ Was auf den ersten Blick banal klingt, ist in diesen Tagen aber wichtig: das schöne Wetter! „Wenn unsere Klien-ten nur in der Wohnung bleiben würden, wäre das nicht zuletzt mit Blick auf ihre Psyche schwierig. Wir investieren viel Zeit in die Aktivierung, also die Entwicklung und Erhaltung der eigenen Fähigkeiten.“

Herr F. der in einer kleinen Wohnung allein wohnt und sonst mit der Ta-gesstruktur, also in Gemeinschaft, isst, beschreibt die Langeweile und den Verlust sozialer Kontakte: „Ich freue, mich wenn ich nicht mehr allei-ne essen muss!“  - ähnlich sehen es Herr P. und Herr H., die zusammen in einer Wohnung leben: „Es ist so langweilig ohne Fußballspielen und Sport im Fernsehen. Frau K., die auch allein in einer Wohnung lebt und keine Angehörigen und Freunde in der Nähe hat zu ihrer Bezugsmitarbei-terin: „Ich bin froh, wenn ich dich wieder umarmen darf.“ Herr B., der auch in einer Wohnung lebt und ambulant betreut wird: „Wann kann ich endlich meine neugeborene Nichte sehen?“ Natürlich stehen viele Menschen vor denselben Herausforderungen, „doch es sind die fehlenden Alltagsrituale, die unsere Klienten hart treffen.

Genauso wie es jetzt für die Mitarbeiter schwierig ist, die Klienten zu ihrer Sicherheit und Einhaltung pandemiebedingten Regeln zu begrenzen, wird es eine Herausforderung sein, die Menschen entsprechend der Locke-rungen wieder an ihre alten Strukturen und Selbständigkeit heranzufüh-ren“, ist sich Getrud Kelch sicher.

Im Bereich für Menschen mit psychischer Erkrankung werden gerade bei traumatisierten Personen Ängste und damit depressive Tendenzen ver-stärkt. „Eigentlich ist es unsere Aufgabe und unser Ziel, unsere Klienten wieder in die Lage zu bringen, Kontakt mit anderen Menschen aufzuneh-men und zu halten. Da wir häufig aktuell die einzigen Bezugspersonen sind, ist das nicht möglich. Das bedeutet, dass die Rückzugstendenzen wieder deutlich zugenommen haben und wir vor diesem Hintergrund vor großen Herausforderungen für unsere weitere Arbeit stehen“, sagt Marti-na Große.

Bisweilen bleiben die Mitarbeitenden der Diakonie Mark-Ruhr Teilhabe und Wohnen aber weiter kreativ. Durch kognitive Spiele, Spaziergänge oder Besuche auf Distanz und viele tägliche Telefonate zur Stabilisierung wird so viel Alltagsnormalität wie möglich vermittelt.  Ängste werden hof-fentlich dabei genommen und gute Laune sowie Gottvertrauen kann ent-stehen. Dabei werden natürlich die Hygienevorschriften nicht außer Acht gelassen und diese ggf. spielerisch in den Alltag eingebaut.